Arbeitslosenkasse: Opfer statt Täter der Krise werden zur Kasse gebeten
Die Leistungen der Arbeitslosenkasse müssten nicht gekürzt werden, wenn auch die Grossverdiener auf ihrem ganzen Lohn Beiträge zahlen würden.
Inhalt
saldo 13/2010
29.08.2010
Letzte Aktualisierung:
31.08.2010
Werner Fischer
Ein Loch von 7 Milliarden Franken klafft in der Arbeitslosenkasse. Mit der Revision, über die am 26. September abgestimmt wird, sollen 648 Millionen jährlich zusätzlich in die Kasse fliessen. Gleichzeitig sollen 622 Millionen auf Kosten der Arbeitslosen eingespart werden.
Der Bundesrat strebt damit eine gesunde Arbeitslosenversicherung an. Das ist auch das Ziel der Gewerkschaften. «Wir wollen eine Sanierung, aber ohne Leistungsabbau», sagt Rolf Zimmerman...
Ein Loch von 7 Milliarden Franken klafft in der Arbeitslosenkasse. Mit der Revision, über die am 26. September abgestimmt wird, sollen 648 Millionen jährlich zusätzlich in die Kasse fliessen. Gleichzeitig sollen 622 Millionen auf Kosten der Arbeitslosen eingespart werden.
Der Bundesrat strebt damit eine gesunde Arbeitslosenversicherung an. Das ist auch das Ziel der Gewerkschaften. «Wir wollen eine Sanierung, aber ohne Leistungsabbau», sagt Rolf Zimmermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Er möchte die Verursacher der Krise stärker zur Kasse bitten und nicht die Opfer.
Der SGB empfiehlt deshalb ein Modell wie bei der AHV. Dort zahlen alle Versicherten prozentual gleich viel. Für die AHV werden vom Lohn 4,2 Prozent abgezogen – egal ob jemand 40 000 oder 4 Millionen Franken pro Jahr verdient.
Keine Prämien auf hohen Einkommen
Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Angestellten und Betriebe nur für Löhne bis 126 000 Franken Versicherungsprämien von 2 Prozent. Wer mehr verdient, zahlt auf dem darüber liegenden Salär keine Beiträge.
Das führt dazu, dass Top-verdiener wie Brady Dougan von der Credit Suisse oder Daniel Vasella von Novartis nur gerade 2520 Franken an Prämien in die Arbeitslosenkasse einzahlen. Bei Dougan sind das umgerechnet 0,005 Prozent seines Monatslohnes, bei Vasella 0,01 Prozent. Würden auch für die Grossverdiener 2 Prozent Prämie bezahlt werden, wäre die Arbeitslosenkasse saniert.
Das zeigt eine Rechnung von saldo. Die Grundlage zur Berechnung der gesamten Lohnsumme in der Schweiz bilden die gemeldeten AHV-Einkommen von Angestellten. Die letzten aktualisierten Daten sind nach Angaben des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bis und mit 2007 ausgewertet. saldo hat die Jahre 2005, 2006 und 2007 unter die Lupe genommen. Das Resultat:
- 2005: Die gesamte Lohnsumme betrug 250 Milliarden Franken. Beim aktuellen Beitragssatz von 2 Prozent wären so 5 Milliarden Franken zusammengekommen. Beim jetzt zur Abstimmung stehenden Satz von 2,2 Prozent wären es gar 5,5 Milliarden. Effektiv abgeliefert als Beiträge in die Arbeitslosenkasse wurden 2005 aber nur 4,1 Milliarden.
Das heisst: Wären auch die Grossverdiener zur Kasse gebeten worden, hätte das Zusatzeinnahmen von 900 Millionen respektive 1,4 Milliarden Franken gebracht. Das ist bedeutend mehr als das jährliche Defizit der Arbeitslosenkasse seit 2004.
- 2006: Die AHV-Lohnsumme stieg auf 258 Milliarden Franken. Bei 2 Prozent wäre es zu Einnahmen von 5,2 Milliarden und bei 2,2 Prozent zu 5,7 Milliarden gekommen. Im Vergleich zu den einbezahlten 4,3 Milliarden wären wieder zusätzliche Mittel von 900 Millionen respektive 1,4 Milliarden in die Kasse geflossen.
- 2007: Wieder hätte die Arbeitslosenkasse jubeln können: Effektiv einbezahlt wurden 4,4 Milliarden. Bei einem Satz von 2 Prozent auf der ganzen Lohnsumme von 271 Milliarden Franken wären 5,4 Milliarden einbezahlt worden, bei 2,2 Prozent gar 6 Milliarden. Das macht ein Plus von einer respektive 1,6 Milliarden.
Mehreinnahmen bis 1,2 Milliarden pro Jahr
saldo hat eine zweite Rechnung gemacht. Diese basiert auf der Betriebsrechnung der AHV, die als Schätzwert aufschlussreich ist. Auch bei dieser Rechnung ergeben sich für die drei Jahre 2005 bis 2007 Mehreinnahmen von 600 Millionen respektive 1,2 Milliarden Franken pro Jahr.
Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat berechnet, was der Einbezug der hohen Löhne bringen würde: Es kommt bei seinen jüngsten Erhebungen für das Jahr 2006 auf 552 Millionen Franken. Andres Frick von der Konjunkturforschungsstelle der ETH hat sich ebenfalls hinter die Zahlen gemacht. Sein Fazit: Eine Öffnung gegen oben brächte jährlich 555 Millionen Franken.
Leuthards Experten rechneten falsch
Im Parlament gab es einen Antrag, die Grossverdiener in die Pflicht zu nehmen. Er wurde abgelehnt, weil das zuständige Volkswirtschaftsdepartement von Doris Leuthard falsche Zahlen lieferte. Das würde bloss 400 Millionen Franken zusätzlich bringen, rechneten Leuthards Leute.
Je weniger Arbeitslosentaggelder ausbezahlt werden, desto mehr Menschen treibt man in die Armut. Das sieht auch SGB-Chefökonom Daniel Lampart so: «Vor allem ältere Menschen werden nach der Revision vermehrt ausgesteuert werden. Auch Leute, die krank waren oder einen Unfall hatten, werden es schwer haben, weil sie weniger lang Taggelder beziehen können.» Für ihn ist klar: «Diese Leute werden sehr viel schneller auf Sozialhilfe angewiesen sein.»
Abstimmung: Die geplanten Kürzungen
Am 26. September wird über die vierte Revision der Arbeitslosenversicherung abgestimmt. Der Bundesrat strebt damit Mehreinnahmen von 646 Millionen Franken pro Jahr an. Er will das mit einer Erhöhung der Beiträge der Angestellten und Betriebe von 2 auf 2,2 Prozent der Einkommen bis 126 000 Franken erreichen.
Auf Einkommen zwischen 126 000 und 315 000 Franken soll ein Prozent erhoben werden. Alles darüber ist beitragsbefreit. Gleichzeitig sollen die Leistungen abgebaut und so 620 Millionen gespart werden. Das sind die wichtigsten Leistungskürzungen:
- Für 400 Taggelder brauchts neu in den zwei Jahren vor Beginn der Arbeitslosigkeit 18 Monate Beitragszeit anstatt 12.
- Für die unter 25-Jährigen werden die Taggelder auf 9 Monate halbiert.
- Bei Ausbildungs- und Studienabgängern wird die Anzahl Taggelder auf 4 Monate gekürzt, und das bei einer Wartezeit von 6 Monaten.